Der Rauschgifthandel hat sich digitalisiert. In vielen Städten Deutschlands kann man Rauschgift heute ganz bequem von der Couch aus über das Smartphone bestellen. In Berlin kommt innerhalb weniger Minuten ein sogenanntes Kokstaxi an so gut wie jede gewünschte Adresse. Bestellt werden kann über Apps wie Telegram nicht nur Kokain, sondern fast jede Art von Rauschgift. Gerade für junge Menschen, die mit Smartphones aufwachsen, aber noch keine Kontakte in die Drogenszene haben, sind die Hürden so viel kleiner als früher, an Rauschgift zu kommen.
Die Ermittler in Berlin kämpfen tapfer gegen das Phänomen, kommen aber nicht hinterher, weil die Fahrer meistens nur so viel Rauschgift dabeihaben, dass ihnen höchstens Bewährungsstrafen drohen – und die Hintermänner einfach neue Fahrer rekrutieren, sobald einer erwischt wurde. Meistens sind das junge, verschuldete Männer, die sich auch über Telegram in einschlägigen Gruppen anbieten und dann nichts über die Hintermänner wissen.
Trotzdem muss das Ziel sein, möglichst viele der Kokstaxis aus dem Verkehr zu ziehen. Irgendwann geht den Hintermännern der Nachschub an Fahrern aus. Und je öfter Fahrer erwischt werden, umso unattraktiver wird der Job. Es ist eigentlich auch ziemlich einfach, einen Kokstaxifahrer zu erwischen: Ermittler müssen sich auf Telegram nur gut genug auskennen, um selbst ein Kokstaxi zu bestellen – an der ausgemachten Adresse kann man das Auto und den Fahrer dann durchsuchen. Oder ihm folgen, um nachweisen zu können, dass er mehrere Kunden beliefert. Anwälte von Kokstaxifahrern behaupten zwar, dass diese Technik gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoße. Aber solange die Ermittler sich nicht strafbar machen und keine Taten provozieren, ist es ihr gutes Recht, auf Angebote scheinbar einzugehen, um dann zuzuschlagen. Das ist zum Beispiel auch eine gängige Praxis im Kampf gegen Waffenhändler, die im Darknet aktiv sind.
Das Problem ist, dass viele Ermittler außerhalb Berlins das Phänomen Kokstaxi überhaupt nicht auf dem Schirm haben – obwohl man über Telegram selbst auf dem Land entsprechende Angebote findet. In Nordrhein-Westfalen teilt das Landeskriminalamt auf Anfrage mit, dass wegen Kokstaxis keine speziellen Maßnahmen getroffen würden. In der heimlichen Kokain-Hauptstadt Frankfurt heißt es bei der Polizei, Kokstaxis seien „kein offensichtliches Phänomen“. Aber auch am Main sind Kokstaxis unterwegs.
Vor allem die lokalen Ermittlungsbehörden sind digital nicht so gut aufgestellt wie die Kriminellen. Im Großen sind spezialisierten Ermittlern in diesem Bereich zuletzt beachtliche Erfolge gelungen – sie knackten verschlüsselte Chatsysteme und überführten unzählige Rauschgifthändler. Diese digitale Expertise wird aber nicht nur auf der Ebene von Europol gebraucht, sondern auch bei Kleinstadt-Ermittlern, die früher den Dealer an der Straßenecke kontrolliert haben, der heute sein Rauschgift eben über Telegram vertreibt.
Dazu kommt ein anderes Problem: die laschen Strafen. In einem Fall in Berlin musste ein Kokstaxifahrer dreimal mit Rauschgift im Auto erwischt werden, bis er schließlich zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde – die aber nur zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dabei geben die Gesetze es her, deutlich härtere Strafen zu verhängen. Wenn die Ermittler gut arbeiten, einen Kokstaxifahrer nicht sofort hochnehmen, sondern ihn länger beobachten und ihm ein gewerbsmäßiges Handeltreiben und ein bandenmäßiges Begehen nachweisen können, muss später eine Mindesthaftstrafe von zwei Jahren verhängt werden. Wird eine Waffe bei dem Rauschgifthändler gefunden, liegt die Mindesthaftstrafe sogar bei fünf Jahren. Frustrierend wird es für Polizisten aber, wenn nach aufwendigen Ermittlungen überlastete Gerichte nicht hinterherkommen, im Zweifel Milde walten lassen – und so Nachahmer ermutigen.
Was bislang aber vor allem fehlt, ist der politische Wille, wirklich gegen dieses Phänomen vorzugehen. Ist es politisch gewollt, kann nämlich plötzlich sehr viel passieren – wie die ständigen Razzien in Shishabars in Berlin und Nordrhein-Westfalen zeigen. Für diese „Strategie der 1000 Nadelstiche“ lassen sich Politiker feiern, zum Thema Kokstaxis will dagegen selbst ein CDU-Politiker aus Neukölln nichts sagen, weil ihm dazu „nur öffentlich zugängliche Informationen“ vorlägen. Unterdessen können Szenekenner konkrete Straßennamen in Berlin nennen, in denen Tag für Tag Kokstaxis auf und ab fahren. Wer die illegale Dienstleistung einmal genutzt habe, erkenne die Fahrer sofort. Die Ampelkoalition konzentriert sich unterdessen lieber darauf, den Zugang zu Rauschgift durch die Legalisierung von Cannabis noch zu erleichtern. Dabei gibt es ein Problem in Deutschland ganz sicher nicht: dass es zu schwer wäre, an Rauschgift ranzukommen.