HERAUSGEGEBEN VON GERALD BRAUNBERGER, JÜRGEN KAUBE, CARSTEN KNOP, BERTHOLD KOHLER


EU-Staaten wollen Asylrecht massiv verschärfen

Schnellverfahren an der Außengrenze für Personen mit geringer Aussicht auf Schutz

Die EU-Innenminister haben sich am Donnerstagabend nach fast zwölf Stunden langen Verhandlungen auf eine gemeinsame Haltung zur Reform des EU-Asylrechts geeinigt. Der von Schweden vorgelegte Kompromiss sieht eine massive Verschärfung der Regeln vor und ist nun die Grundlage für Verhandlungen mit dem EU-Parlament. Demnach sollen Personen mit geringer Aussicht auf Asyl an der EU-Außengrenze interniert werden und dort ein beschleunigtes Verfahren absolvieren.

Die Staaten sollen dafür 30.000 Plätze bereithalten. Im Gegenzug sollen sich die anderen verpflichten, 30.000 Asylbewerber zu übernehmen, wenn der Migrationsdruck an der Außengrenze zu groß wird. Allerdings können sie sich davon freikaufen. Vorgesehen ist auch, dass Asylanträge abgelehnt und Bewerber abgeschoben werden können, wenn der Antragsteller einen „angemessenen Bezug“ zu einem sicheren Drittstaat aufweist. Diese Interpretation soll den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, es reicht ein nicht näher bestimmter Aufenthalt.

In diesem heiklen Punkt bewegte sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und machte damit den Weg zu einem Kompromiss frei. Sie sprach gleichwohl von einer „historischen Entscheidung“ für ein gemeinsames Asylsystem. Man habe menschenrechtliche Standards umgesetzt und eingezogen. Zuvor hatte sie schon in anderen Punkten große Abstriche von ihrer Verhandlungsposition machen müssen. So werden nur unbegleitete Minderjährige vom neuen Grenzverfahren ausgenommen werden, nicht Familien mit Kindern. Deutschland erklärte in einer Protokollnotiz, dass es in den Verhandlungen mit dem EU-Parlament weiter dafür kämpfen wolle .

Zuvor war der schwedische Kompromiss in zwei Anläufen durchgefallen. Dabei waren alle großen Einreiseländer an der Außengrenze unzufrieden: Italien, Griechenland und Bulgarien. Wie Österreich und Dänemark gaben sie als Hauptgrund an, dass ihnen die Abschiebung in Drittstaaten nicht weit genug ging. Sie wollten Transfers auch nach Ruanda, Niger oder Tunesien ermöglichen. In der Endabstimmung stimmten nur Polen und Ungarn gegen den Kompromiss, vier Staaten enthielten sich.

Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni will am Sonntag mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Tunesien reisen. Italien dringt auf mehr Hilfen für die dortige Regierung und erwartet, dass die im Gegenzug die Migration eindämmt.

Steinmeier unterschreibt Wahlrechtsreform

Bundespräsident bedauert fehlenden Konsens / Klagen gegen Gesetz nun möglich

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am Donnerstag in Berlin das Gesetz zur Reform des Wahlrechts unterzeichnet. Steinmeier habe am Gesetzgebungsverfahren nichts gefunden, was zu beanstanden wäre, hieß es im Bundespräsidialamt. Allerdings ist Steinmeier politisch nicht zufrieden. Aus dem Präsidialamt war zu hören, der Bundespräsident finde es „bedauerlich, dass es den Parteien nicht gelungen ist, einen breiteren Konsens zu erreichen“. Steinmeier äußerte sich nicht öffentlich.

Die Ampel hat das Gesetz gegen die Opposition durchgesetzt. Das Gesetz kann nun in Kraft treten. Allerdings kann jetzt auch vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt werden, wie es bereits aus der Opposition angekündigt worden war. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte am Donnerstag, man werde „alle Hebel nutzen, damit diese Manipulation des Wahlrechts gestoppt wird“. Sowohl der CSU-Vorsitzende Markus Söder als auch die Vorsitzende der Partei Die Linke, Janine Wissler, hatten von Steinmeier verlangt, das Gesetz nicht zu unterschreiben. Das neue Wahlrecht sieht vor, den Bundestag auf eine Größe von 630 Abgeordneten zu reduzieren. Zwei Neuregelungen des mit der Mehrheit der Ampelparteien SPD, Grüne und FDP im Bundestag beschlossenen Gesetzes haben besondere Kritik hervorgerufen.

Da die Zweitstimme, die die Stärke der Parteien regelt, künftig auch dafür ausschlaggebend sein soll, wie viele gewonnene Wahlkreise einer Partei zugerechnet werden, droht vor allem der CSU der Verlust von Sitzen Bundestag. Zudem soll die Grundmandatsklausel abgeschafft werden, die den Einzug einer Partei in Fraktionsstärke ermöglicht, wenn diese unter der Fünfprozenthürde bleibt, aber drei Direktmandate gewonnen hat. An diesem Freitag wird sich die Venedig-Kommission des Europarats mit dem Wahlrecht befassen. In der Ampel hält man den Entwurf der Kommission zur Bewertung der Reform für eine Unterstützung. „Der Entwurf bestätigt mich darin, dass die Wahlrechtsreform sowohl vom Inhalt wie auch vom Verfahren nicht zu beanstanden ist“, sagte der Grünenpolitiker Till Steffen der F.A.Z. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann, sagte der F.A.Z., die Würdigung trage „zur Versachlichung der deutschen Debatte und zur Akzeptanz der überfälligen Wahlrechtsreform bei“.

Scholz schaltet sich in den Etatstreit der Ampel ein

Er nimmt neben Christian Lindner nun auch eine aktive Rolle ein

Im Haushaltsstreit der Ampelregierung nimmt neben Finanzminister Christian Lindner (FDP) nun auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine aktive Rolle ein. Wie das Finanzministerium am Donnerstag bestätigte, führen Scholz und Lindner derzeit gemeinsame Etatgespräche mit den Ministern, in deren Ressorts es mit der Einhaltung der Ausgabengrenzen hakt. Ziel sei, bis zum 5. Juli den Regierungsentwurf für den Etat 2024 zu beschließen, hieß es. Wegen Konflikten in der Koalition hinkt das Verfahren in diesem Jahr deutlich hinter dem üblichen Zeitplan her.


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